Ich kann dazu jedem das kürzlich stattgefundene Jung & Naiv Interview mit dem Leiter der KZ Gedenkstelle Buchenwald empfehlen. Da wird neben der Schlussstrichdebatte und den politischen Veränderungen und ihren Gefahren für die Gedenkstätten auch der Begriff der "Erinnerungskultur" und die politische Instrumentalisierung problematisiert.
Wenn ich das halbwegs richtig wiedergebe, hat Jens-Christian Wagner erklärt, dass "Erinnern" nur ein Akt ist, der sich auf selbst Erlebtes beziehen kann, wodurch die Forderung "erinnert euch!" inzwischen schon an der Demographie scheitert. Die Forderung hat dann jedoch auch das Problem, dass sie eine persönliche "Erbschuld" impliziert, die dann natürlich zurückgewiesen wird. Das steht im Kontrast zum Gedenken an die Opfer einerseits, was unabhängig von Fragen von persönlicher Schuld geboten ist. Und es steht im Kontrast zur historischen Aufarbeitung, die eine gesellschaftliche Verantwortung gegenüber den Opfern ist, und andererseits eine Verantwortung um derartige Verbrechen niemals wieder geschehen zu lassen.
Aus meiner Sicht ist die jetzige Erinnerungskultur, wie sie politisch und medial gelebt wird, zum Scheitern verurteilt, weil sie zunehmend performativ ist und gerade der letztgenannte Aspekt, ein "Niemals wieder" zu garantieren dabei von den Performern ignoriert wird, z.B. indem sie gegen Geflüchtete, in Armut Gedrängte und vermeintliche "Ausländer" hetzen, autoritäre Systeme aufbauen, Menschenrechte schwächen und Ungleichheit in der Gesellschaft befördern und instrumentalisieren.