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erstmal mein eigenes Sub

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Was haltet ihr von der neuen Seite?


Wie Sergei bei der Jobcenter-Maßnahme gelandet war, konnte wohl niemand genau sagen.

Seine Geschichte dazu, gleich Tolkiens Magnum Opus, „grew in the telling“. Zuerst erzählte er nur, er habe den Job als Komissionierer, gut bezahlt durch Nachtschichten und Wochenenden, gekündigt, weil er Vater wurde und mehr Zeit für die Erziehung haben wollte. Fragwürdige Entscheidung, glaubhafte Geschichte. Je nach Gemütszustand wurde seine Kündigung aber immer anders ausgeschmückt. Mal kündigten all seine Kollegen aus Solidarität, mal prügelte er sich mit dem Chef auf dem Parkplatz (oder, wenn er milde gestimmt war, wurden dem Chef nur Prügel angedroht), mal ging die Firma pleite und der Chef verkaufte einen seiner fünf Sportwagen, um wenigstens noch Sergei, dem besten Pferd im Stalle, schwarz ein dickes, letztes Gehalt zu zahlen.

Wie auch immer Sergei beim Jobcenter gelandet war, seine Präsenz in der Maßnahme war eine Bereicherung. War Ronny, „der Professor“ noch der Einäugige unter den Blinden, war Sergei genauso dumm wie der Rest von uns. Nicht dümmer, aber definitiv nicht klüger. An einem Tag hatten wir das Modul „Englisch in der Informatik“, und es stellte sich als Fehler heraus, Sergei ein Wörterbuch zu geben. Welche Wörter wir denn schon kennen, fragte der Dozent, während Sergej wild blätterte, und dann ruft er rein „breast“ (und spricht es wie „beast“ aus), und kichert dann vor sich hin, bis er das nächste Wort findet, das er als reinrufenswürdig empfindet, „ass“, und kichert wieder, und der Dozent hasst wohl sein Leben.

Weil wir die einzigen Nichtraucher waren, hing ich manchmal mit ihm in der Pause rum. Er verstand schnell, dass ich nicht allzu interessiert an seinen Erzählungen über sein neues Baby war, und so erfand er irgendwelche Heldentaten oder Abenteuer, die ihm passierten, meisten orientiert am Fernsehprogramm des letzten Tages. Einmal erzählte er mir, dass er als Jugendlicher deutscher Meister im Breakdancing wäre, und dass sein Tänzername „B-Boy Sergei“ gewesen wäre, eine Lüge die so random und übertrieben war, dass ich ihn einfach auslachen musste. Am nächsten Tag brachte er dann einen eingerahmten Zeitungsartikel mit, ja, so richtig im Bilderrahmen, und siehe da, da stand er, in einem Outfit straight aus 8-Mile, zwischen ein paar ähnlich gekleideten Buben, seinem Meisterschaftsteam im Breakdancing. Seltsam, denke ich, und frage mich, welche seiner Geschichten wohl noch wahr gewesen sind.

In irgendeiner Pause hängen wir im heißen Schulungsraum rum, draußen sind hundert Grad und drinnen nur fünfzig, deswegen bleiben wir drinnen, und Sergei kommt rein, mit seiner Lederjacke, in den Händen eine Schüssel mit Milch, bis zum Rand gefüllt, sodass er sich nur mit Mikroschritten, jeder einzelne für das bloße Auge kaum wahrnehmbar, aber in Summe doch eine Vorwärtsbewegung ergebend, seinem Tisch nähern konnte. Der Dozent guckt nur fassungslos auf die Milchschüssel, dessen Inhalt nur durch Oberflächenspannung gehalten wird, aber nach quälenden Minuten hat die Schüssel wider jeder Erwartung den sicheren Tisch erreicht. „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ schreit der Dozent, aber Sergei kann ihn beruhigen. Er holt eine Packung JA! Choco Chips Frühstückscerealien raus, keine Sorge, die saugen die Milch schon auf.

Es endet wie es enden muss, mit einem nassen, klebrigen Tisch, einem wütenden Dozenten, und einem verwirrten Sergei, der vorwurfsvoll auf die Cerealienpackung guckt, als fasse er die mangelnde Saugkraft der JA! Choco Chips als persönlichen Verrat auf.

Drei Tage noch bin zum Ende der Maßnahme, drei Tage noch, drei Tage noch…

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Dani (Leseprobe) (unterschichtblog.blogspot.com)
submitted 1 year ago by [email protected] to c/[email protected]
 
 

„Ich mag deine Stimme!“

Das war ihre erste Nachricht, und das Netteste, was ich in einer langen Zeit gehört hatte. „Und wenn wir schon dabei sind, ich mag es, wie du im Gildenchat schreibst!“

Das war so 2008. Sie war in meiner WoW-Gilde und manchmal hörte man sie im Voice Chat als einziges Mädel unter 24 Jungs Taktiken erklären oder inkompetente Heiler zusammenstauchen.

Sie war etwas jünger als ich, aber während ich beim REWE Kartons gefaltet oder in einem Lager Prospekte verschickt hatte, hatte sie ihr Abitur gemacht. Sie erzählte mir, dass sie unweit von mir in Bad Godesberg, damals für mich der Inbegriff einer noblen Gegend, wohnte, gerade ein FSJ plante und danach nach Zürich ziehen würde, um zu studieren. Irgendwas mit Robotern, oder KI oder so. Eine Lebenswelt, von der ich wenig verstand. Und irgendwann kam die gefürchtete Frage, was ich denn so mache, und mir fiel keine gute Antwort an, also blieb ich bei der Wahrheit. „Also gerade schaffe ich in einem Call Center, aber ich mache nebenbei den Real-Abschluss nach.“ Und ich war sicher, dass sie nun wegrennen würde.

Aber sie rannte nicht weg: „Soll ich dich mal besuchen kommen?“

Besuchen. In meiner Wohnung? Die gänzlich schmucklose Wohnung in der Kölner Platte, die weder ein Sofa, noch einen Fernseher hatte? In der es außer einer Hand voll Schulheften kein Buch gab, keine Pflanzen, einen Duschvorhang als Badezimmertür und nur eine weiß Gott wie alte Matratze als Bett? „Na gut“, schrieb ich, „aber ich befürchte du wirst dann wegrennen.“

Aber sie rannte nicht weg. Wir saßen auf der Matratze und tranken Bier und redeten als hätten wir nicht in den jetzt Wochen jede freie Minute miteinander geplaudert und in tausend Fragen und Antworten und kleinen Pausen und Gesten und Blicken war nicht ein Hauch von Vorwurf, kein Anzeichen von Ekel, kein Hinweis darauf, dass sie mich auf Grund unserer unterschiedlichen Lebensumstände als niedriger betrachtete.

In den nächsten Monaten merkte ich häufig, dass sie versuchte, mich zu fördern. Schon am Anfang brachte sie bei mir ihr Scrubs-Boxset unter und zwang mich, die Folgen mit ihr auf Englisch zu gucken. Anfangs noch mit Untertiteln, später ging es ohne. Und heute würde ich nie wieder eine Comedy übersetzt schauen.

Wir wussten immer, dass unsere Zeit zusammen begrenzt war. Sie hatte ihren Studienplatz in Zürich, und ich hätte nie mit ihr mithalten können, selbst mit der größten Motivation, denn sie wuchs deutlich schneller als ich. Während ich nach der Arbeit binomische Formeln paukte und dem Wissen der achten Klasse hinterherrannte, bereitete sie sich auf ihr Studium und lernte die Art von Mathe, die ich auch heute nicht verstehen würde. Die Weichen waren gestellt.

Bevor sie ging, schenkte sie mir ihren „Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“, was zu einem meiner Lieblingsbücher werden sollte, und beim Lesen merkte ich, dass einige Vokabeln, nach denen ich sie beim Scrubs-Schauen gefragt hatte, markiert waren. Als hätte sie sich jede davon gemerkt und später im Buch gefunden.

Mein Buch hat noch einige Seiten, und ich am liebsten würde ich die Überraschung verderben und sagen, dass Dani im dritten Drittel wieder auftaucht, dass wir uns wiederfinden, dass wir zusammen in einem kleinen Haus mit Garten und einem Hund an der See leben. Aber Dani ist jetzt Dr. Dani, und der Nachname ist anders, und sie lebt noch in der Schweiz, und ich glaube sie mag auch gar keine Hunde, aber getroffen habe ich sie seit unserer kurzen Begegnung nie wieder.

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Die Abendrealschule (unterschichtblog.blogspot.com)
submitted 1 year ago* (last edited 1 year ago) by [email protected] to c/[email protected]
 
 

Weil am Sonntag eine Fortsetzung erscheint, hier ein alter Blogeintrag:


5:30 Uhr, an einem Augusttag vor etwa zwölf Jahren.

Der Wecker klingelt, aber ich bin längst wach. Konnte vor Aufregung kaum schlafen und fühle mich gerädert. Schlürfe einen Kaffee auf dem Balkon und schaue vom siebten Stock auf das Viertel runter. Es sind bereits über 20 Grad. Ich hasse den Sommer.

Nach einer gründlichen Dusche radle ich los, 20 km den Rhein rauf. Die Arbeit geht ausnahmsweise viel zu schnell rum und mit jeder Minute, die ich mich dem Feierabend nähere, werde ich nervöser. Ich darf heute ´ne Stunde früher gehen, denn heute ist mein erster Tag an der Abendrealschule.

Nach Feierabend schwinge ich mich wieder aufs Rad und komme nach einer halben Stunde im Höllentempo völlig verschwitzt an der Schule an. Ich bin zu früh, aber so kann ich noch einen Platz in der zweiten Reihe ergattern. Genau da wollte ich hin, das hatte ich auf dem Weg genau überlegt. Da bekommt man alles mit, aber falls nette Mädels in der Klasse sind, halten die mich nicht direkt für einen Streber - denn der würde schließlich in der ersten Reihe sitzen.

18:30, Herr K. kommt. Unser Klassenlehrer. Dreißig Schülerinnen und Schüler sitzen an zwanzig Tischen. Es stinkt nach Schweiß und Deo, denn fast alle waren wir vorher arbeiten. Der Lehrer kommt rein, setzt sich wortlos ans Pult und schreibt erstmal etwas. Zum letzten Mal für die nächsten 18 Monate sind wir alle still, während wir auf den Anfang der Stunde warten.

Irgendwann hebt ein junger Türke in der letzten Reihe seine Hand. „Ich hab kein Tisch“, sagt er. Der Lehrer guckt auf. „Kein Thema, in sechs Wochen sind zehn von Ihnen eh weg, dann ist mehr als genug Platz“. Er muss unsere kollektive Sorge wohl gesehen haben, denn sofort legt er, weit freundlicher, nach: „Ach, keine Sorge, wer so lange bleibt, zieht es dann meistens auch durch.“

Sechs Wochen später. Wir sind nur noch zwanzig und jeder hat seinen eigenen Tisch. Die Tage fühlen sich unendlich lang an, aber wenigstens ist es nicht mehr so heiß. Die Klasse ist noch sehr motiviert, und den Vorbereitungskurs meistern wir alle erfolgreich. Manche Dinge muss der Lehrer zehnmal erklären, aber eine Sache verstehen wir alle, ausnahmslos, kennen wir auswendig: „Wer keine Fünf hat, darf weitermachen. Wer eine Fünf hat, kann die durch eine Drei ausgleichen. Wer zwei hat, muss gehen.“

Niemand hat zwei Fünfen. Nach sechs Monaten sind wir alle, ganz offiziell, Realschüler. Ich habe Spaß an Englisch und Deutsch und wenn ich Mathe nicht verstehe, hilft mir meine Freundin. Womit ich die verdient habe, verstehe ich beim besten Willen nicht.

Mein Chef unterstützt mich. Der hat mir überhaupt erst geraten, den Abschluss nachzumachen. Nach vielen Jahren prekärer Scheißjobs und sporadischer Arbeitslosigkeit hatte ich mir das überhaupt nicht zugetraut. Aber ich habe Glück. War es im Büro ruhig, schrieb er zwischendurch, dass ich das Telefon ausmachen und was für die Schule tun soll. Stand eine Klassenarbeit an, durfte ich früher Feierabend machen. Auch hier bin ich unsicher, womit ich das verdiene. Aber ich verstehe, dass das Glück nicht jeder hat und dass es ohne deutlich schwieriger wäre.

Der Schulalltag war angenehmer als befürchtet. Ja, irgendwie waren wir alle Asis. Die meisten rauchten, fehlten häufiger mal, hatten nicht immer den nötigen Respekt vor den Lehrern. Jeder hatte so seine Macke. Schlechte Hygiene wurde mit zu viel Deo kompensiert und dass Chipstüten ein gänzlich ungeeigneter Snack für einen Klassenraum sind, haben viele auch nach der dritten Ermahnung nicht verstanden.

Aber alle waren freiwillig da und alle hatten Verständnis, wenn mal jemand was nicht kapierte was für den Rest längst klar war. Wer jemanden auslachte, wurde kollektiv zusammengestaucht. Auch die Lehrer passten zu uns. Niemand war dort, weil sein Leben gradlinig und planmäßig verlief.

Nach 18 Monaten hatten wir es geschafft. 20 von uns, Anfangs mit Hauptschulabschluss, oder gänzlich ohne, waren einen Schritt weiter im Leben, hatten neue Perspektiven und etwas Selbstbewusstsein und vielleicht sogar etwas Stolz.

In unserem Englischbuch, ich sehe das junge Mädel auf dem Cover, das auf einem Surfbrett durch das „Internet surft“, noch vor meinen Augen, war ein Kapitel zum American Dream. Was denn der German Dream sei, fragte Herr K. uns als Denkansatz. „Hier kann man Scheiße bauen und auch mal faul sein und bekommt immer wieder zweite Chancen“, antwortete jemand.

Und auch wenn das nicht immer stimmt und auch wenn leider noch so mancher Mensch durch’s Netz fällt, der vielleicht nicht das Glück hat, die richtige Freundin oder den richtigen Chef zu haben: dankbar bin ich für jede der hundert „zweiten“ Chancen, die ich im Leben bekommen habe.

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Weil am Samstag Teil 2 rauskommt, jetzt auch hier Teil 1:


Als Domis Roller eines Tages den Geist aufgab, hatten wir keine andere Wahl, als uns ausnahmsweise bei ihr zu treffen.

Domi war meine erste Freundin. Eigentlich wollten ihre Eltern sie Dominique nennen, aber irgendwie konnten sie das nicht schreiben, also hieß sie Dominik. So richtig, auf ihrem Ausweis.

Nun, nach einem Jahr Beziehung war es dann so weit, und ich habe sie das erste Mal zu Hause besucht. Sie lebte ländlich, die Familie bewohnte ein kleines, heruntergekommenes Haus. Domi, ihre Schwester, ihr kleiner Bruder Spike, ihr Stiefvater, nennen wir ihn Jochen, ihre Mutter, ein schwerst übergewichtiger Beagle und ein Haufen Katzen, die ständig ein und aus gingen.

Schon im Hausflur stank es nach Zigaretten und wir mussten über haufenweise Schuhe, Gummistiefel, ein Dreirad und eine fehlende Treppenstufe klettern, um in ihre Wohnung zu kommen.

In der großen Wohnküche standen zwei kleine Schreibtische mit Computern, Domis Mutter und Stiefvater je an einem davon. Wir sagen “Hallo”, die Eltern ignorieren uns fast gänzlich, die Rücken uns zugekehrt. Die Mutter in einem Chat-Raum, der Stiefvater ein Online-Kartenspiel spielend. Auf beiden Tischen stehen reihenweise Kaffeetassen, gefüllt mit Kippen, gerade genug Platz für Maus und Tastatur verbleiben.

Ihr Kinderzimmer teilt sich Domi mit ihrer kleinen Schwester, die wohl unterwegs ist, und so haben wir zwei degenerierten Teenager das Zimmer für uns und es dauert keine Minute, bis Domi mich reitet. Ich merke dass sie abgelenkt ist und ihr Top nicht ausziehen will und ständig zur Tür guckt. “Was ist los?” frag ich. “Jochen hört immer wenn ich ficke und kommt dann zufällig rein”.

Und siehe da, die Tür geht einen Spalt auf, und Jochen möchte wissen, wann es Mittag gibt. “Verpiss dich, Jochen” sagt Domi, ohne aufzuhören, mich zu reiten. Jochen lacht dreckig, und steckt den Kopf zur Türe rein. Verpiss dich, ruft Domi noch mal, und aus dem Wohnzimmer brüllt ihre Mutter, er solle uns doch mal in Ruhe lassen. Und wieder lacht Jochen dreckig, aber tatsächlich verschwindet er, ohne die Tür zu schließen.

Irgendwann ruft Domis Mutter, dass Spikes Windeln gewechselt werden müssen, und wir unterbrechen den Akt. Domi geht ins Wohnzimmer, ich liege auf dem Bett und nur die Verheißung, dass wir später weitermachen, hält mich davon ab, sofort wegzurennen.

Irgendwann stehe ich auf, gehe ins Wohnzimmer, setze mich an den Esstisch, habe das Gefühl das ist höflich. Domi spielt mit ihrem Bruder, der nicht, wie ich erwartet hatte, ein Säugling, sondern ein rundlicher Dreijähriger ist. Domi setzt sich zu mir, lehnt sich an mir an, sagt mir, dass sie uns Pizza bestellt hat. Jochen lacht, ist sich der Herr Prinz etwa zu fein, aus unserer Küche zu essen? Womit ich den Spitznamen verdient habe, verstehe ich zwar nicht, aber während ich in die Küche schaue, voll mit Katzenhaaren und Aschenbechern, ein offener gelber Sack mit Katzenstreu und Windeln auf der Arbeitsplatte, komme ich mir tatsächlich, vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben, zu fein für etwas vor.

In dem Moment wusste ich meine Eltern zu schätzen, die zwar auch von Sozialhilfe und Hartz 4 lebten, aber einen sauberen Haushalt führten und nie auf die Idee kämen, meine Schwester oder mich beim Sex erwischen zu wollen. Wenn man die Erwartungen nur niedrig genug hält…

Irgendwann kommen unsere Pizzen, Domi und ich essen am Küchentisch, Jochen kommt an und bedient sich an ihrer Pizza. Die Kippe in der linken Hand, die Pizza in der rechten. “Stefan versucht hier zu essen”, ermahnt ihn Domi. “Na und, das stört mich doch nicht beim Rauchen!”, sagt er, laut und widerlich lachend. Mir fallen seine fehlenden Eckzähne auf, und eine Fettwulst, die sich in seinem Nacken auftürmt, während er die Scheibe Pizza in sich verschwinden lässt. “Jochen, du bist ein Arschloch” sagt Domi. “Du sollst mich doch Papa nennen”, erwidert Jochen. Dann ruft er laut nach Spike, und statt dem Dreijährigen, der anteillos auf dem Boden sitzt und in ins Leere starrt, kommt der Beagle um die Ecke und bekommt eine Scheibe Pizza.

Häh? Frage ich. Heißt der Hund etwa auch Spike? Domi wird rot, irgendwie scheint ihr in all dem Chaos und Elend DAS am peinlichsten zu sein. Ihre Mutter ruft, mit einem Akzent, von dem ich später lerne, dass er sächsisch ist, vom ihrem Schreibtisch auf: “Ja, aber der Hund war zuerst da.” Domi hat Tränen in den Augen. Ich frage nicht weiter.

Nach dem Essen ziehen wir uns in ihr Zimmer zurück, ihre Schwester ist mittlerweile nach Hause gekommen, und so beherrschen wir uns und chatten mit Schulfreunden in ICQ, gucken uns den Fail Blog an, lachen über z0r und German Bash. Domis Schwester guckt und lacht mir, wirkt nett, aufgeweckt und erstaunlich normal.

Irgendwann klopft es an der Tür, die Mutter ruft uns, wir sollen doch bitte in die Garage kommen, das neue Auto sei da. Ich weiß nicht worum es geht, und Domi erklärt mir, dass Jochen ein neues Auto bekommen habe, und wir uns das mit ihm ansehen müssen. Mir ist das Ganze zuwider, was interessiert mich das neue Auto dieses Spinners, aber gut, für Domi gehe ich mit runter.

Und so stehen wir zu fünft um einen in die Jahre gekommenen, ranzigen kleinen Opel, in der halbdunkeln Garage, Jochen mit einer Tüte Chips, bestimmt zehn Minuten, und die Mutter sagt wir können ruhig Fragen zu dem Auto stellen, aber niemandem fallen Fragen ein, und Jochen platzt fast vor Stolz und Ehrfurcht, und ich bin verwirrt und versuche nicht zu lachen, und Domi wirft mir flehende Blicke zu, als befürchte sie, dass ich die Absurdität dieser Situation mit einem Lachen exponieren könnte, und Jochen schiebt sich faustweise Chips in den Rachen, das Auto umkreisend, als hätte er in seinem Leben kein solches Wunder gesehen. Weitere, quälende Minuten vergehen, dann setzt er Spike - das Kind, nicht den Hund - auf den Fahrersitz, und lacht, und nennt ihn den kleinen Rennfahrer, ganz der Papa eben, und ist dann eingeschnappt, dass sonst niemand lacht, außer Domis Mutter, der niemand die Echtheit ihres bemühten Gelächters abkauft.

Irgendwann sitze ich auf dem Rad nach Hause, der Tag wirkt wie ein wirrer Fiebertraum, und ich lege mir schon Formulierungen zurecht, wie ich morgen Kevin davon berichten werde.

Moment mal, denke ich mir. Jochen hört immer, wenn sie fickt?

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Busfahrersohn (unterschichtblog.blogspot.com)
submitted 1 year ago* (last edited 1 year ago) by [email protected] to c/[email protected]
 
 

Im Leben eines Kindes kommt irgendwann die Erkenntnis, dass die Eltern nicht allwissend sind.

Mich hat diese Einsicht erwischt, als ich so fünf oder sechs Jahre alt war. Ich fuhr mit meinem Vater durch das Ruhrgebiet und - warum auch immer - mir stellte sich die Frage, wo eigentlich Wolken herkamen. Wie jede Frage, die nichts mit LKWs zu tun hatte, nervte sie meinen Vater, der eigentlich nie was wusste, das aber sicher.

Seine Antwort: na aus den Kühltürmen, siehst du doch, und zeigte auf einen Kühlturm eines Kraftwerkes an dem wir vorbeifuhren. Und ich, der Sechsjährige, fand das für einen Moment plausibel, man sieht es ja, da kommen ja Wolken raus, und die gehen auch nach oben.

Aber irgendwas störte mich an der Erklärung. Zu der Zeit war ich großer Fan von Dinosauriern, und ich hatte einige Dinobücher von Verwandten geschenkt bekommen. Und eins wusste ich sicher: zur Zeit der Dinos gab es noch keine Menschen, aber es gab schon Wolken.

Als dann die Schule anfing, hatten wir solche Momente häufiger. Eine Rechenaufgabe, die ich nicht verstand? Frag deine Mutter. Ein schwieriges Wort in einem Text? Lass mich damit in Ruhe. Besonders gegenüber meiner neuen Leidenschaft, dem Lesen, war er sehr skeptisch. Alles was er nicht verstand war pauschal "schwul". Alles Sinnliche, oder Intellektuelle, oder Künstlerische. Einmal kam ich mit einer Notiz von Frau Bauer, meiner Klassenlehrerin, nach Hause. In meinem Schreibheft, ein glitzernder Sternsticker, daneben der Satz: "Prima, Stefan, du hast heute sehr gut vorgelesen!"

Aber anstatt Lob zu kassieren, und vielleicht ein "weiter so", oder ein "was hast du denn vorgelesen?" kam nur die Anmerkung, dass ich ja auch eine Schwuhctel sei, und überhaupt, warum lernt man denn nicht mal was richtiges in der Schule? Beim nächsten Vorlesen war ich dann zögerlicher.

Dass seine Kinder kein Interesse an seinem Hobby zeigten, nervte ihn tierisch. Manchmal versuchte er, uns in seinem Hobbyraum, der eigentlich ein Kinderzimmer sein sollte, sein fürchterliches Hobby nahezubringen: Modell-LKW lackieren und in Vitrinen ausstellen. Wir hassten das Hobby. Natürlich fanden wir es zutiefst langweilig und stupide, aber mehr noch nervte es uns, dass wir uns ein Zimmer teilen musste, damit die "Modell-KWs" ihr eigenes Zimmer haben konnte.

Irgendwann sah ich ihn über einem Brief vom Sozialamt brüten. Das war nachdem er seinen Job verloren hatte und ich schon fast mit der Grundschule durch war. Und wie ich ihn da sitzen sah, mühsam Wort für Wort lesend, und die Lippen bewegend, zurück zu Satzanfängen springend, weil er den Faden verloren hatte, tat er mir irgendwie leid. Dann bemerkte er mich, fühlte sich ertappt, schrie irgendeine verletzende Obszönität, drohte mit Gewalt wenn ich nicht verschwände, und alles Mitleid war vergessen.

Einmal, in den Sommerferien, durften meine Schwester und ich in ein Ferienlager fahren; die lokale evangelische Kirche hatte Unterschichtskindern einen Zuschuss gezahlt. Meine Schwester fand sofort Anschluss bei den größeren Kindern, aber ich hatte es schwerer. Die anderen Kindern, meist junge Teenager, hatten ein gutes Gespür dafür, wer die Bezuschussten waren und die freiwilligen Betreuer halfen auch nicht gerade. Irgendwann gab es eine Vorstellungsrunde, und der kleine Stütze wurde natürlich gefragt, was sein Vater beruflich macht. Oh Gott. Jede Frage, nur nicht diese. Die Wahrheit war keine Option, zu sehr schämte ich mich für den kleingeistigen Vater, der nichts als seine LKW kannte, dessen liebe für seine "Brummis" tief in die Freizeit reinragte. Der keine Neugier besaß, und keine Ambitionen, bequem und fett und fies.

Also musste eine Lüge her. Arzt, oder Zoodirektor, oder Buchhalter, alles was nobler, oder interessanter, oder wenigstens besser bezahlt wäre. Doch kein Beruf fällt mir ein, und ich haue raus: "Busfahrer"

Vereinzeltes Kichern, ich werde rot. Ich sehe mich flehentlich nach meiner Schwester um, die so tut als kenne sie mich nicht, und irgendjemand brüllt "Busfahrersohn!", schallendes Gelächter und ich habe einen Spitznamen für den Rest des Ferienlagers. Nach zwei Wochen, vielleicht warens auch vier, holt Mutter uns am Pfarrhaus ab. Meine Schwester küsst ihren neuen Freund energisch und mit Zunge zum Abschied und irgendein Kind ruft "Schönen Urlaub noch, Busfahrersohn" zu mir. Mutter registriert beides nicht, und wir fahren zurück in die Platte. Arbeitet Vater heute, frage ich, und halte bis zur Antwort die Luft an.

mehr Unfug:

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Der Sub-Sub-Subunternehmer (unterschichtblog.blogspot.com)
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Kennt ihr diese Jobs, die nur existieren, um irgendeine alberne gesetzliche Anforderung zu erfüllen?

So eine Stelle hatte ich 2013-2014. Ein typischer Arbeitstag sah etwa so aus:

Abends ruft mich die Dispatcherin an, "kannst du morgen nach Nürnberg fahren?"

Okay, sag ich, und bete, dass es kein Druckerumzug ist. "Ist ein Druckerumzug, bitte den Kollegen in Karlsruhe abholen."

Also gehe ich am nächsten Morgen zu Sixt, Mietwagen steht bereit, ab jetzt "verdiene" ich Geld.

Fahre also nach Karlsruhe. Da hole ich den Kollegen ab, ein Kettenraucher Namens Sergejy oder Ivgeniy Prktologowyzc.

Zusammen fahren wir dann von Karlsruhe nach Nürnberg zu einer Liegenschaft der Bundeswehr. Die haben einen IT-Dienstleister, damals die BWI, heute keine Ahnung, die wiederum einen Logistiker haben, der wiederum einen Personaldienstleister hat.

Für die letzte Firma in der Kette (die auf "Consulting" endet, falls hier ein früherer Kollege mitliest) arbeitete ich, und verdiente 8,25 € die Stunde. Verkauft wurde ich als "IT Systemtechniker" oder was auch immer, für 39 € die Stunde. Die Verträge waren auf Tagesbasis, also für jeden Auftrag musste ich einen neuen Vertrag unterschreiben.

Ein guter Tag lief so: zu Sixt radeln, manchmal zu Enterprise, Auto mieten, von HD nach Koblenz oder Bonn, einmal sogar nach Hamburg, in einer Liegenschaft Maus und Tastatur oder ein HDMI-Kabel austauschen, und wieder fünf Stunden nach Hause fahren. Da schätzt man sein Tageswerk: den Steuerzahler 250+ € kosten, dabei selbst kaum Kohle kriegen, und effektiv vielleicht zehn Minuten arbeiten.

Dieser Tag war einer der nicht so guten. Druckerumzüge durften wir nicht allein machen, und wo soll man in einer Kaserne auch schon jemanden zum Anpacken finden, also durften wir zu zweit durch die Republik fahren, einen Netzwerkdrucker abbauen (Ethernet- und Stromkabel ziehen), irgendwo anders wieder aufbauen (Ethernet- und Stromkabel einstecken). Im schlimmsten Fall drei Räume weiter auf demselben Flur. Hab ich erwähnt, dass die Teile Rollen haben?

Egal, also ich fahre mit irgendeinem Alkoholiker und Kettenraucher, der keinen Führerschein mehr hat, nach Bayern. Ständig schreit er rum, weil jemand auf der Autobahn nicht schnell genug, oder zu schnell fährt, raucht eine Kippe nach der anderen, ignoriert, wenn ich ihm sage er soll das lassen, schlägt plötzlich aufs Amaturenbrett, weil er wohl auf dem Handy was sieht, was ihm nicht passt.

Vielleicht nicht ganz zufällig, war das die Zeit, zu der ich anfing, jede Ausgabe in Arbeitsstunden umzurechnen. Warmmiete? 42 Stunden. Wocheneinkauf? Fünf Stunden. Der Unterschied zwischen Raststättenkaffee und selbstgekochtem Instant? Acht Minuten Autofahrt neben Krawczyk, dem kettenrauchenden Choleriker.

Wir kommen an, Druckerumzug dauert 15 Minuten, runden wir auf eine Stunde auf. Macht den Kohl auch nicht mehr fett, mittlerweile wurden bestimmt schon 10 Arbeitsstunden berechnet. Sorry, Steuerzahler.

Dispatch ruft an: "Wo ihr schonmal in Bayern seid, könnt ihr morgen nach Stetten fahren? Da ist ein Rollout, die brauchen noch Leute."

Also gut, auf gen Stetten, übrigens in BaWü, nicht in Bayern, aber weil der Tag fast vorbei ist, fahren wir erstmal in Augsburgs widerlichstes Hostel, wo für uns zwei Betten in einem Viiiielbettzimmer gebucht wurden. Das macht übrigens der Logistiker, nicht der Personaler, und vermietet die Plätze dann an den Personaler weiter. Sicher nicht ohne deftigen Aufschlag.

Aber egal, ich denke an die üppigen Stunden am nächsten Tag, an die 15 € Verpflegungsgeld, die bei jeder Übernachtung fällig werden. Mentale Buchführung: fünf Stunden noch, bis ich die Miete für nächsten Monat zahlen kann. Dann nochmal zwölf für die Verpflegung, und nochmal zwei oder drei für ein schönes Date mit der dickbusigen Svenja.

Rechnet noch jemand mit, wie viel der Ausflug den Steuerzahler bisher kostet?

Nächster Morgen, Mojciech hatte wohl eine schlechte Nacht, flippt beim Fahren mehrfach völlig aus. Wirft irgendwann wütend sein Handy auf die Rückbank. Ich fahre ihm nicht schnell genug, er ist zu dumm zu verstehen dass wir für die Fahrzeit genauso bezahlt werden wie für den Rollout, also greift er irgendwann ins Lenkrad, um mich auf die linke Spur zu bugsieren.

So nicht du Spacko, denk ich mir und fahre die nächste Raststätte an. "Du trinkst jetzt erstmal nen Kaffee, bist ja kaum auszuhalten", sag ich zu ihm. Polatzki steigt aus um sich einen Kaffee zu holen, lässt das Handy im Wagen. Er geht rein, ich fahre weiter, zurück auf die Autobahn, und dort auf den nächsten Parkplatz.

Ja hallo Dispatch, ich warte jetzt seit über 'ner Stunde auf den Kollegen. Der wollte kurz zum Lidl um sich Schnapps zu holen. Jetzt ist er verschwunden. Ne ich erreiche ihn nicht. Ja der geht nicht ans Handy. Ja seit 'ner Stunde schon, ich muss jetzt echt zum Rollout.

"Ja dann fahr schonmal los, wir versuchen ihn zu erreichen." Viel Glück, denk ich mir, und werfe sein Nokia in einen Raststättenmülleimer.

Beim Rollout bauen wir dann PCs auf, legen Kabel, schließen Telefone an etc. Mal zu dritt, mal zu zehnt, mal dauerts zwei Tage, mal 'ne Woche. Immer gemütlich, denn jeder braucht die Stunden, und von oben kommt kein Druck, weil unser Boss, und sein Boss, und sein Boss, an jeder Stunde gut verdienen.

Wem das Geld nicht reichte, der durfte entweder hoffen, zufällig an dem Tag "Teamleiter" zu sein und 50 Cent pro Stunde mehr zu verdienen (besonders geil bei Aufträgen zu zweit, bei denen dann der Geringverdiener den anderen automatisch hasste).

Oder er machte es wie die älteren Kollegen und holt sich die Festplatten und Arbeitsspeicher aus den zu entsorgenden Alt-PCs. Gerade bei den HDDs aus Bundeswehrrechnern natürlich eine tolle Idee...

Der ganze Job existierte nur, weil die Soldaten nicht ihre eigene Hardware austauschen durften, nichtmal Peripherie, irgendwas mit Versicherung.

Egal, am Ende zahlt es eh der Steuerzahler. Also ihr. Und ich brauchte die Schichten. Danke auch.